In Zeiten, in denen die Schweden mit „Flygskam“ („Flugscham“) eine neue Lebenseinstellung definieren, sollte man eine jede Strecke, die man zurücklegt, hinterfragen. Das gilt nicht nur für Reisende, sondern auch für die Wirtschaft. Mit einem wachsenden Bewusstsein für das Klima und Nachhaltigkeit, sollte darauf geachtet werden, die Distanz zwischen Produktionsstätte und Absatzmarkt so gering wie möglich zu halten.
Die Transportwege bis zu den Verbrauchern sind oft lang und auf alles, was von A nach B bewegt wird, kommt zwangsläufig eine mehr oder weniger große Ausstoßmenge an Kohlenstoffdioxid. Luftfracht verursacht dabei natürlich den Löwenanteil, gefolgt von LKW, Bahn und dem Seeweg. Transportwege so kurz wie möglich zu halten, leistet einen wesentlichen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz. Dies ist kein Plädoyer gegen die Produktion in Übersee – auch hierfür gibt es in konkreten Fällen schlagkräftige Argumente. Aber die Nähe zur den Produktionsstätten muss ein entscheidender Parameter bei der Wahl eines Produktionsstandorts werden.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Kurze Transportwege haben nicht nur das weitreichende Ziel CO2-Emissionen zu reduzieren, vielmehr bringen sie auch den Vorteil mit sich, dass Waren schneller beim Absatzort ankommen. Das kann einerseits helfen, Lieferengpässe zu vermeiden und ist andererseits bei einer bedarfssynchronen Produktion von Vorteil. Für die sogenannte Just-in-time-Produktion (JIT-Produktion) werden Waren nur in der Stückzahl und zu dem Zeitpunkt hergestellt, wie sie zur Erfüllung konkreter Kundenaufträge benötigt werden. Vermieden werden können dadurch Produktionsüberschüsse, die am Ende keinen Abnehmer finden, und Lagerkosten, was ein nachhaltigeres Wirtschaften unterstützt.
Produzenten vor der Haustür
Heutzutage sollte das oberste Interesse bei der Produktion nicht nur finanzieller Natur sein. Natürlich spielt der Preis eine nicht unwesentliche Rolle, doch noch viel wichtiger ist die Entscheidung für eine verantwortungsvolle Herstellung. Um fair und trotzdem preisgerecht zu produzieren, muss man nicht in die Ferne schweifen. Bereits innerhalb der EU und an deren Grenzen ist dies möglich und das birgt eben den Vorteil kurzer Wege zu den Abnehmern. Portugiesische Textilproduzenten bestechen beispielsweise nicht nur durch ihre geografische Nähe, sondern sind durch eine besonders dichte Infrastruktur in der Lage, nahezu alle Artikel produzieren zu können. Die Mindestabnahmemenge ist tendenziell geringer als in Asien (Stichwort JIT-Produktion) und außerdem herrscht ein hohes Qualitätsbewusstsein. Auch Bulgarien ist innerhalb der EU-Grenzen ein interessanter Standort. Nicht zuletzt deswegen, weil die Textilbranche des Landes, wie übrigens auch die in Serbien, intensiv mit der Türkei kooperiert, einem wahren Paradies der Textilproduktion.
Die Türkei: Ein Standort voller Vorteile
Neben hoher Qualitätsstandards und der Nähe zu Deutschland ist die Türkei natürlich wegen ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Zollunion (Waren können ohne Zollbeschränkungen gehandelt werden) ein attraktiver Standort. Des Weiteren weist sie eine in sich sehr stabile Produktions- und Lieferkette auf, da sie eigentlich alles im eigenen Land hat: Stoffgroßhändler, Färbereien, Accessoires-Fabriken und natürlich Konfektionsbetriebe. Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt in jedem Fall und wird durch den aktuellen Wechselkurs der türkischen Lira noch begünstigt. Hinzukommt eine gezielte Förderung der verarbeitenden Industrie durch die Regierung. Die Investitionen fließen besonders in den Ausbau der Infrastruktur: geplant sind mitunter 13.000 km neue Straßen und 12.000 km neue Schienen. Es gibt zudem Pläne, bis zu dreizehn neue Logistikzentren zu schaffen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Türkei für die EU-Bekleidungsindustrie ein enorm wichtiger Partner ist. Im Jahr 2017 wurde Kleidung im Wert von fast 15 Milliarden US-Dollar exportiert und gut 73 % dieser Waren hatten die EU als Ziel.
Das Zünglein an der Waage
Es spricht also einiges dafür, für die Produktion einen geografisch nahen Standort zu wählen. Ein Patentrezept gibt es allerdings nicht. Man muss gewisse Für und Wider abwägen und natürlich auch aktuelle politische und damit verbundene wirtschaftliche Rahmenbedingungen im Auge behalten. Durchaus gibt es auch Bereiche wie die Sportswear, wo asiatische Hersteller die Nase vorn haben und zuverlässig mit den komplexen und technisch anspruchsvollen Textilien und Stoffen umzugehen wissen. Dieses Know-how kann auch Trumpf sein. Aber mit Blick auf den aktuellen und allgegenwärtigen Diskurs zum Klimawandel, müssen Transportkonditionen ein ebenfalls wichtiges Kriterium bei der Standortwahl sein.